Madeleine Haricot, 2020
Vorwort
Als ich von Simon Meyer und David Krieger kontaktiert wurde mit der Nachricht, dass sie eine Neuherausgabe der Cahiers de recherches de Nienetwil (CRN) planen und sie mich anfragten, für die erste Nummer ein Vorwort zu verfassen, war ich zugleich überrascht und geehrt. Natürlich willigte ich ein. Denn der Verlag unserer Familie Haricot ist mit dem Namen Nienetwil eng verbunden.
Ich erinnere mich, als mein Grossvater Lucien Haricot mir von seiner ersten Begegnung mit Aciel Arbogast erzählte. Es war in einem berühmten, aber auch berüchtigten Lokal in Paris gewesen, wo er – wie er meiner Grossmutter gegenüber immer wieder beteuerte – nur hinging, um den Literaten, Wissenschaftlern und Künstlern, die sich dort versammelten, zu begegnen. Es war in diesem Lokal, wo mein Grossvater zum ersten Mal von Nienetwil hörte. Eine schillernde Figur namens Arbogast pflegte dort im auserlesenen Kreis über die Entdeckung einer uralten Kultur, die offenbar weitgehend in Vergessenheit geraten war, zu erzählen. Auch dabei war nach Luciens Worten eine «bezaubernde junge Dame» namens Miribelle oder ähnlich, die nicht nur die Gastgeberin war, sondern sich auch in die Diskussionen einbrachte. Sie redeten über Nienetwil.
Eines Abends, nach einer langen und anregenden Diskussion, ging mein Grossvater auf Arbogast zu, stellte sich als wissenschaftlicher Verleger vor und fragte, ob Arbogast seine Entdeckungen und Theorien nicht durch eine geeignete Publikation einem breiten Publikum zugänglich machen wolle. Denn das Verlagsgeschäft ist hart und man muss der Konkurrenz stets voraus sein. Arbogast lehnte ab und blieb auch in der Folge dabei, obwohl mein Grossvater die Offerte bei jeder Diskussion, der er beiwohnte, wiederholte. Arbogast nahm ihn einmal zur Seite und sagte, er habe schlechte Erfahrungen mit der Presse gemacht. Die Reaktionen der Öffentlichkeit auf seine Ideen seien enttäuschend gewesen; sie würden entweder als Unfug abgetan oder man habe daraus irgendwelche Esoterik in der Art von Madame Blavatsky und Gurdjieff gemacht. Es sei naiv zu glauben, die sogenannte «gebildete» Öffentlichkeit, geschweige denn die Gemeinschaft der Gelehrten, würde so etwas, wie er zu erzählen habe, verstehen. Mein Grossvater entgegnete, dies sei Arbogast selbst anzulasten, denn alles, was hinter geschlossenen Türen und nur in kleinen, privilegierten Gruppen diskutiert werde, stehe unweigerlich unter Esoterik-Verdacht. Nach einigen Wochen sei Arbogast auf meinen Grossvater zugekommen und habe ihm eröffnet, er sei nicht allein bei der Erforschung von Nienetwil. Er kollaboriere mit einem anderen Wissenschaftler namens Nussquammer. Dieser habe ihm nahegelegt, das Angebot betreffend Publikation anzunehmen. Er sei also bereit, zusammen mit Nussquammer über eine Publikation, die der Erforschung von Nienetwil gewidmet wäre, zu diskutieren.
Danach spricht die Geschichte für sich: Die «Cahiers de recherches de Nienetwil» – kurz CRN –wurden geboren. Sie erschienen zwischen den beiden Weltkriegen einmal jährlich. Die Rezeption in der wissenschaftlichen Welt war gemischt, um es milde zu formulieren: Es gab enthusiastische Anhänger der neuen Ideen und der Berichte über die neuen Entdeckungen, die in den CRN erschienen, und es gab auch scharfe Kritiker, die alles in Zweifel zogen. Vor allem aber entwickelte sich ein reges Interesse an Nienetwil. Das freute natürlich meinen Grossvater sehr, denn er landete mit den CRN, wie er selbst zu sagen pflegte, einen «grossen Wurf». Die Freude in unserm Haus und der Erfolg, den die CRN dem Verlag bescherten, waren aber von kurzer Dauer. Als die Deutschen in Paris einmarschierten, nahmen sie alles mit, was ihrer Meinung nach irgendwie mit ihrer Ideologie der Herrscherrasse zu tun haben könnte. Da die meisten Beiträge der CRN in deutscher Sprache verfasst waren und scheinbar – so dachten zumindest die ungebildeten deutschen Offiziere, die unser Verlagshaus durchsuchten und plünderten – mit einer urdeutschen Vergangenheit zu tun hatten, wurden alle Bestände der CRN, die in Paris noch zu finden waren, wegtransportiert. Sie landeten in der Staatsbibliothek in Dresden. Die Deutschen – wie übrigens viele andere auch, dies muss deutlich gesagt werden – haben Nienetwil schlichtweg nicht verstanden. Diese Missverständnisse bedeuteten aber das Ende der CRN, denn nicht nur durfte das Haus Haricot die CRN nicht mehr publizieren, der Feuersturm von Dresden löschte auch alle noch verbleibenden Exemplare aus.
Nach dem Zweiten Weltkrieg musste unser Verlagshaus andere Aufträge annehmen, die nicht mehr mit wissenschaftlicher Publikation zu tun hatten. Mein Vater Paul Haricot verkaufte schliesslich den Verlag und die Librairie Haricot an ein grosses, international tätiges Publikationshaus und die Cahiers de recherches de Nienetwil gerieten in Vergessenheit.
Deswegen ist es mir eine grosse Freude zu erfahren, dass eine Neuherausgabe der CRN geplant ist. Ich gratuliere den neuen Herausgebern, die in die Fussstapfen von Aciel Arbogast und Amot Nussquammer treten. Sie nehmen die grosse Verantwortung auf sich, die inspirierenden Ideen von Nienetwil in dieser von Verzweiflung und Lüge beherrschten Welt zu verbreiten. Ich wünsche viel Erfolg!
- Inhaltsverzeichnis CRN 1-2020-1
- Einleitung der Herausgeber
- Vorwort
- Das Nienetwil-Projekt
- Was ist «visionäre Vergangenheitsforschung»?
- Biografie von d’Aciel Arbogast I.
- Die Stellung des Handwerks und Werkzeugs in der Nienetwiler Kultur
- Biografie Amot Nussquammer sen.
- Einführung in die Nienetwiler Kultur von Amot Nussquammer sen.
- Briefverkehr zweier Freunde und Streithähne
- Ursprung der Nienetwiler Kultur
- Biografie Nomis Arbogast
- Fundbeschreibung und eine kleine Zeitreise in die Nienetwiler Kulturgeschichte
- The Alaju Settlement – Auszug aus der Autobiografie
- Ausblick CRN Nr. 2
- Impressum-Autoren CRN 1-2020-1